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: Ost-West-Unterschiede: 17 Prozent weniger Gehalt
Vergleichbarer Job – weniger Geld: Beschäftigte verdienen in Ostdeutschland deutlich schlechter als im Westen – auch wenn sie im selben Beruf arbeiten und sich in Berufserfahrung, Geschlecht, Position und Betriebsgröße nicht voneinander unterscheiden. Eine wichtige Ursache für den Gehaltsunterschied ist die deutlich geringere Tarifbindung in Ostdeutschland.
Auch fast 30 Jahre nach der Wiedervereinigung verdienen Beschäftigte in Ostdeutschland noch deutlich weniger als Arbeitnehmer in den alten Bundesländern. Insgesamt beträgt der Abstand rund 16,9 Prozent, wenn man Beschäftigte gleichen Geschlechts, im gleichen Beruf und mit vergleichbarer Berufserfahrung vergleicht (mehr Informationen zur Methode unten). Besonders stark zurück liegen ostdeutsche Arbeitnehmer, die über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen oder eine weiterführende berufliche Qualifikation (z.B. als Techniker oder Meister) erworben haben. In akademisch geprägten Berufen und bei Helfertätigkeiten ist der Abstand zum Westen geringer. Dies ergibt eine Auswertung von annähernd 175.000 Datensätzen des Portals Lohnspiegel.de, das vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung betreut wird.
Unterteilt man die Berufe nach dem Qualifikationsniveau, beträgt der Abstand bei fachlich ausgerichteten Tätigkeiten 17,4 Prozent (siehe Abbildung 1). Hierzu gehören die meisten Ausbildungsberufe. Befragte aus Ostdeutschland, die nach ihrer betrieblichen Ausbildung eine kaufmännische Fortbildung durchlaufen haben oder eine weiterführende technische Qualifikation erworben haben, verdienen sogar 18,4 Prozent weniger als Beschäftigte in vergleichbaren Spezialistentätigkeiten im Westen. In Berufen mit hoch komplexen Anforderungen, für die in der Regel ein Hochschulabschluss Voraussetzung ist, beträgt der Rückstand gegenüber dem Westen hingegen 15,4 Prozent. Geringer sind die Unterschiede nur bei Helfertätigkeiten (14,4 Prozent), für die die Angaben aufgrund relativ kleiner Fallzahlen allerdings weniger verlässlich sind. Hier zeigt der Mindestlohn Wirkung, der in Ost und West identisch ist.
Auch zwischen den ostdeutschen Ländern gibt es ein merkliches Gefälle. In Brandenburg ist, auch aufgrund des prosperierenden Berliner Umlandes, der Rückstand gegenüber dem Westen mit 13,9 Prozent am geringsten (siehe Abbildung 2). In Mecklenburg-Vorpommern beträgt das Minus 15,3 Prozent. Im Mittelfeld liegen Thüringen (16,9 Prozent) und Sachsen-Anhalt (17,1 Prozent). Schusslicht ist der Freistaat Sachsen: Hier liegen die Verdienste der Befragten um 18,2 Prozent unter dem Niveau für vergleichbare Tätigkeiten im Westen. Zu einem ähnlichen Ergebnis war bereits im Frühjahr die WSI-Studie „Tarifverträge und Tarifflucht in Sachsen" gekommen. In Berlin, das sich aufgrund seiner Sonderstellung nicht eindeutig zuordnen lässt, beträgt der Rückstand zum Westen 4,5 Prozent.
Die geringere Verbreitung von Tarifverträgen ist nach Analyse des WSI neben Unterschieden in der Wirtschaftskraft ein wesentlicher Grund für den Gehaltsrückstand in den neuen Bundesländern. „Bei den Tariflöhnen haben die Gewerkschaften inzwischen eine weitgehende Angleichung zwischen Ost und West durchsetzen können", sagt Dr. Malte Lübker, WSI-Experte für Tarif- und Einkommensanalysen. So lag das Tarifniveau in Ostdeutschland 2018 bei 97,6 Prozent des Westens, verglichen mit 91,9 Prozent im Jahr 2000 (siehe Abbildung 3). „Aber Tarifverträge können nur da wirken, wo sie auch verbindlich angewendet werden", so Lübker. Nach Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufs-forschung (IAB) wurden 2018 nur 45 Prozent der ostdeutschen Beschäftigten nach einem Tarifvertrag bezahlt. Im Westen waren es hingegen 56 Prozent.
Informationen zur Methode
Die Gehaltsunterschiede beziehen sich auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Ost und West, die sich hinsichtlich wichtiger Eigenschaften nicht voneinander unterscheiden. Neben dem ausgeübten Beruf wurden Lohnunterschiede statistisch herausgerechnet, die sich mit Faktoren wie der Berufserfahrung, dem Geschlecht, der Größe des Betriebes oder einer innerbetrieblichen Leitungsfunktion erklären lassen. „Wir vergleichen in unserer Analyse also gleich mit gleich – Menschen, die im gleichen Beruf tätig sind und auch sonst ähnliche Merkmale haben", sagt Malte Lübker. „Die verbleibenden Gehaltsunterschiede lassen sich folglich nicht darauf zurückführen, dass etwa in Ingolstadt oder Stuttgart mehr hochqualifizierte Ingenieure arbeiten als in der Niederlausitz."
Einen detaillierten, auf individuelle Merkmale zugeschnittenen Gehaltsvergleich können Arbeitnehmer für über 500 Berufen mit Hilfe des Lohn- und Gehaltschecks auf Lohnspiegel.de erzeugen. Um zu einem aussagekräftigen Vergleich zu kommen, werden hierfür zunächst eine Reihe von Fragen zur eignen beruflichen Situation gestellt. Auf der Auswertungsseite können die Nutzer des Portals dann im zweiten Schritt unter „Was wäre wenn …?" gezielt einzelne Angaben ändern, indem sie z.B. ihr eigenes Bundesland gegen ein anderes austauschen. Die typischen Gehälter werden dann für das gewählte Bundesland neu berechnet. Ausgewiesen werden auch Differenzen zwischen den alten Bundesländern, unter denen Baden-Württemberg und Hamburg vorne liegen.
Die Daten des Portals Lohnspiegel.de beruhen auf einer kontinuierlichen Online-Umfrage unter Erwerbstätigen in Deutschland. Für die Analyse wurden 174.600 Datensätze berücksichtigt, die seit Anfang 2017 erhoben wurden. Die Umfrage ist nicht-repräsentativ, erlaubt aber aufgrund der hohen Fallzahlen detaillierte Einblicke in die tatsächlich gezahlten Entgelte. Alle Angaben beziehen sich auf die Bruttoverdienste pro Stunde, sodass Unterschiede in der Arbeitszeit nicht zum Tragen kommen. Nicht berücksichtigt wurden Sonderzahlungen wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld. Lohnspiegel.de ist ein nicht-kommerzielles Angebot der Hans-Böckler-Stiftung.